Apropos Ulrike Meinhof: Ist sie so ganz profan gesagt eine ganz normale Mörderin? Oder ist sie für dich eher eine Märtyrerin? Oder etwas ganz anderes?
Elisabeth Käsemann war eine Märtyrerin. Aus einem linken sozialen Projekt in Argentinien von Putschisten verhaftet, bei bewusster Ignoranz des Auswärtigen Amtes der BRD unter der Leitung von Hans-Dietrich Genscher, der die Waffengeschäfte mit Argentinien nicht unnötig belasten wollte, gefoltert, vergewaltigt und letztendlich, als klar war, dass kein offizielles Ersuchen mehr aus der BRD kommen würde ermordet. Ulrike Meinhof hat selbst zur Waffe gegriffen, um einen vollkommen sinnlosen, weil aussichtslosen Kampf zu führen, bei dem konsequent Menschen zu schaden kommen würden. Das hat sie in Kauf genommen. In erster Linie ist sie für mich die Autorin von "Bambule", dann eine protestantische Pfarrerstochter, wobei die Kultur ihrer Herkunft häufig Individuen so etwas wie ein Atlaskomplex auferlegt, so dass diese Individuen meinen, sie müssten wie Jesus alle Last der Welt, alle Ungerechtigkeit auf sich nehmen und sich aufopfern. Elisabeth Käsemann hatte womöglich auch einen Atlaskomplex, aber sie zog keine irrwitzigen militanten Schlüsse daraus. Ich finde deine Formulierung "eine ganz normale Mörderin" bis zur Debilität profan! Du stellst dich auf den Hexenhammer und schaust auf Mörder herab! Weißt du denn so eindeutig, welcher Weg zum Mord führt? Ich würde profane Urteile nicht übernehmen und überhaupt wäre es sinniger sprachsensibel den religiösen Diskurs zu verlassen. Nicht profan, keine Märtyrerin. Wer tötet, begeht Mord, könnte man sagen, dann kommt man zu den Diskussionen, ob man Soldaten pauschal "Mörder" nennen darf und ich würde auch gerne fragen wollen, ob Waffenlieferungen in Krisen- bzw. Kriegsgebiete nicht Beihilfe zum Mord ist. Ich sehe, um auf den Hexenhammer zurückzukommen, das Böse im Destruktiven dem Leben gegenüber und das Gute in der Beförderung des Wohlbefindens aller. Das Leben selbst setzt uns da paradoxe Grenzen. Fördert der Metzger das Wohlbefinden aller? Er ist aber jedenfalls kein Mörder, weil er keine Artgenossen tötet. Wer auf das Töten von Artgenossen abzielt, mordet. Jeder sollte durch sein individuelles Verhalten ein Stück weit dazu beitragen, dass staatliche Tötungspolitik erschwert und nicht erleichtert wird. Wenn man dieses Individualverhalten politisiert denkt, dann muss man konsequenter Weise sie über Staatsgrenzen hinweg denken. Es kann also nicht sein, dass die ukrainische Friedensbewegung auf Gewalt verzichten möchte, die russische Friedensbewegung aber sich nicht den kriegerischen Handlungen in den Weg stellt! Und dann muss man einen Schritt weitergehen und sagen, dass alle Menschen sich vereinigen müssen, um Gewalt und Unterdrückung zu verhindern. Der Blick auf Ulrike Meinhof ist nicht unbedingt hilfreich für einen umfangreichen Friedensdiskurs. Wir sollten lieber auf die Abgründe der Seele schauen: wie oft wird autoritäre Gewalt ebenso präferiert wie opportune Ignoranz. "Ich kann nicht hinschauen, wenn ein Tier getötet wird", Fleischkonsum aber geht ebenso wie Spielfilme.
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